Wie lässt sich sexualisierte Gewalt vermeiden?
Drei Fragen an Prof.in Bettina Rulofs
In Ihrer Studie geben Sie als Lösungsvorschlag an, eine Kultur des bewussten Hinsehens zu entwickeln. Was ist das?
Wenn Erwachsene mit Kindern zu-sammen sind, dann haben sie eine Verantwortung dafür, dass es den Kindern gut geht. Eine lange Zeit wurde – auch in der Präventionsarbeit zum sexuellen Missbrauch – betont, dass wir die Kinder stärken müssen. Das ist auch richtig! Jedes Kind soll lernen, Nein sagen zu dürfen. Aber es ist trotzdem die Verantwortung der Erwachsenen, alles dafür zu tun, dass Kinder geschützt sind. Und das bedeutet auch, aufmerksam hinzuschauen. Nur wenn Eltern auch mal zum Beispiel Einsicht nehmen dürfen beim Training, wenn sie mitbekommen können, was der Trainer macht, habe ich diese transparente Kultur, die wir in Sportvereinen brauchen. Nur dann habe ich das, was ich dieses aktive Hinschauen nenne. Es geht wirklich darum, wie mit einem Scheinwerfer alle dunklen Ecken von Sportvereinen ausleuchten zu können. Es muss möglich sein, dass Vereine Orte sind, die Einblicke von außen erlauben, indem wir also Zweier-Konstellationen vermeiden, indem wir Konstellationen vermeiden, in denen Übergriffe ausgeführt werden können – ohne dass wir in eine Si-tuation kommen, wo wir ständig nur noch an dieses Thema denken.
Haben Sie einen konkreten Tipp, wie man das in der Praxis umsetzt?
Es geht darum, Kindern aufmerksam zuzuhören. Was erzählen sie vom Training? Gehen sie gerne hin? Fühlen sie sich wohl? Und wenn sie dann mal zurückkommen vom Training und sagen, sie hätten keine Lust mehr, dann sind wir Eltern ja auch oft geneigt zu sagen: ‚Mensch, jetzt streng dich aber nochmal an! Jetzt gehst du da nochmal hin.‘ Da bin ich auch durchaus dafür, denn grundsätzlich geht es ja auch darum, dass man lernt, an einer Sache dran zu bleiben. Aber gleichzeitig muss ich eben auch herausfinden, was die Gründe dafür sind, dass das Kind nicht mehr zum Training möchte. In Berichten von Betroffenen hören wir immer wieder, dass die Eltern sozusagen darüber hinweg gehört haben oder gesagt haben: ‚Nun stell dich nicht so an! Streng dich noch mehr an, und geh da nochmal hin!‘ Obwohl die Kinder eindeutig gesagt haben, sie möchten nicht mehr – auch weil ihnen vielleicht der Trainer unangenehm geworden ist. Es geht wirklich darum, ernst zu nehmen, was Kinder sagen, sie zu unterstützen, mal mitzugehen und nachzufragen, was da los ist.
Wie geht man bei einem Verdachtsfall vor?
Das ist das Schwierige am Aufdecken von sexuellem Missbrauch: Wir wollen niemanden falsch verdächtigen, denn wenn wir jemandem etwas unterstellen und es dann nicht stimmt, dann ist das extrem rufschädigend und das möchten wir vermeiden. Wir müssen also vorsichtig, gleichzeitig aber auch aufmerksam sein für die Interessen und Bedürfnisse von Kindern. Und das heißt tatsächlich: beobachten, nachfragen, sich mit anderen austauschen. Im Idealfall hat der Sportverein eine Kinderschutzbeauftragte oder eine Ansprechperson für dieses Thema. An die wende ich mich bei einem Verdachtsfall und teile meine Sorge. Diese Ansprechperson müsste in der Lage sein, nach einem geregelten Verfahren vorzugehen und den Fall systematisch zu prüfen. Dann gibt es auch in der Regel ganz gute Gespräche, die eine Konfliktsituation dann auch auflösen können.
Prof.in Bettina Rulofs ist Sportsoziologin und leitet die Abteilung Diversitätsforschung des Instituts für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Heterogenität und Diversitäts-Management, Jugendarbeit, Gewaltprävention und Kinderschutz im Sport. 2016 hat Prof.in Bettina Rulofs zusammen mit der Uniklinik Ulm erstmals Daten dazu erhoben, wie viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sexualisierte Gewalt im Sport erlebt haben. Aktuell arbeitet sie unter anderem an Handlungsleitlinien für die Prävention von und Intervention bei sexualisierter Gewalt im Sportverein.
Als Ergänzung zu den bisherigen Aktivitäten im organisierten Sport und in staatlichen Stellen soll das Zentrum für Safe Sport Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung durchführen und Hilfe bei sexualisierter und interpersonaler Gewalt für den Spitzen- und Breitensport bieten. Es soll eine von Sport und Politik unabhängige zentrale Ansprechstelle für Betroffene sein und noch 2022 eingerichtet werden. (Quelle: BMI)
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