„Ich kann nicht einfach nur etwas essen"

Körperbildprobleme  in der Pubertät können ein Grund dafür sein, eine Essstörung zu entwickeln. Spoho-Studentin Annika Terbrack ist 28 und leidet seit ihrem 15. Lebensjahr an einer Essstörung. In unserem Interview spricht sie über Tricks, die sie sich angeeignet hat, damit niemand die Erkrankung bemerkt, über exzessive Sportphasen und den strategisch richtigen Platz in der Mensa.

Annika, wann hast du gemerkt, dass du ein Problem mit Essen hat?
Die Diagnose habe ich vor drei Jahren bekommen, während eines Klinikaufenthaltes. Krank bin ich aber bestimmt schon seit 13 Jahren. Es war nicht immer durchgehend akut, daher habe ich es eine lange Zeit als Phase abgetan.

Wie äußert sich deine Essstörung?
Es war mal akut Bulimie. Das ist es jetzt nicht mehr, aber es ist immer noch definitiv gestört. Ich kann nicht einfach nur etwas essen. Rund ums Essen entstehen tausend Gedanken: was esse ich, wie viel esse ich, wer beobachtet mich dabei. Gerade zu Beginn an der Spoho war das sehr schwierig. Ich habe mir die Mensa-Speisepläne schon immer zwei Wochen im Voraus angeschaut und einen genauen Plan gemacht, wann ich was esse, wann die beste Zeit dafür ist – also die wenigsten Menschen in der Mensa sind – und wo ich mich hinsetze, damit mir möglichst keiner beim Essen zuschauen kann. Essen ist jedes Mal mit sehr vielen Überlegungen verbunden.

Hat dein Umfeld deine Krankheit bemerkt?
Nein. Aber ich habe auch immer stark darauf geachtet, dass es keiner merkt. Das ist ja auch Teil der Erkrankung. Mit der Zeit entwickelt man Tricks, und ich hatte immer Normalgewicht. Irgendwann ging es mir körperlich aber total schlecht. Ich hatte Magenbluten, eine entzündete Speiseröhre, eine Magenschleimhautentzündung, Eisenmangel, meine Menstruation blieb aus, Haarausfall, und ich habe immer unglaublich lange gebraucht, um mich nach dem Sport zu regenerieren.

War das der Punkt, wo du dir Hilfe geholt hast?
Ja und nein. Ich dachte, dass die körperlichen Reaktionen depressionsbedingt sind. Erst in der Klinik wurde mir bewusst gemacht, dass das die Folgen meines gestörten Essverhaltens sind. Das war vor knapp drei Jahren.

Was hat sich seitdem verändert?
In der Klinik habe ich noch gedacht: Okay, da gibt es ein Problem. Aber will ich das jetzt ändern? Will ich das wirklich loswerden? Irgendwie gibt es mir ja auch Halt. Irgendwann ist das dann in totale Wut umgeschlagen. Ich war so unglaublich wütend und habe mir gedacht: Ich will das jetzt los werden! Das darf mich nicht so beeinflussen und krank machen!

Kannst du mittlerweile Essen genießen?
Nein. Ich bin mir auch unsicher, ob mir das jemals gelingt. Aber ich nehme alle Nährstoffe zu mir, die ich brauche, und ich treibe Sport mittlerweile aus Vergnügen und nicht, um Kalorien abzubauen.

Und du sprichst über deine Krankheit …
Ja. Ich habe viele Jahre gebraucht, um mir mein Problem einzugestehen und es loslassen zu können. Das klappt immer besser.

Was hat dir geholfen?Was würdest du anderen Betroffenen raten?
Generell muss man da, glaube ich, vorsichtig sein mit Tipps. Die können ganz schnell falsch ankommen. Mir persönlich haben Fragen bzw. Angebote immer mehr geholfen als gut gemeinte Ratschläge. Also: Wie fühlst Du Dich dabei? Wenn Du Hilfe brauchst, dann bin ich für Dich da! Am allermeisten geholfen hat mir der Austausch mit anderen Betroffenen. Ich bin in einer Selbsthilfegruppe. Ab einem gewissen Punkt in der Therapie hat mir die Gruppe mehr gebracht, als die Einzeltherapiestunden – man fühlt sich verstanden und merkt, dass man mit dem Problem nicht alleine ist. Das finde ich sehr wichtig und hilfreich.

Interview: Lena Overbeck

Hilfe für Betroffene

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Telefon: +49 221 892031
www.bzga-essstoerungen.de

Hilfsangebot der Spoho
Psychologische Beratung
Anna Heese
Telefon: +49 221 4982-3912