Sportjournalismus und Politik

„Meine Einstiegsdroge in die Sportpolitik waren Spielregeln“

Sportjournalist zu werden,  das wünscht sich Chaled Nahar schon als Kind. „Seitdem ich wusste, dass da jemand sitzt und Fußball guckt und dafür Geld bekommt, war klar, dass mich das interessieren würde“, sagt der heute 44-Jährige. Sein Traum ist in Erfüllung gegangen, auch wenn das, was er heute macht, nur wenig mit dem zu tun hat, was er sich als Fünfjähriger erträumte: Der Spoho-Absolvent ist freier Sportjournalist und berichtet über sportpolitische Themen, vor allem im Fußball.

Ob Fußballfinanzfragen, Sportgroßveranstaltungen, Regeln und Rechte von Fußballfans – der Journalist ist immer ganz nah dran und hat sich damit zu einem Experten gemausert, der mitunter selbst als Gesprächspartner in TV, Radio und Podcast auftritt. „Meine Einstiegsdroge in die Sportpolitik waren Spielregeln“, erinnert sich Nahar. „Wer legt fest, dass der Anstoß im Fußball nach hinten ausgeführt wird? Wie kommen Ranglisten zustande, und wer erfindet die? Das hat mich interessiert.“ Je tiefer er in die Materie einsteigt, desto spannender wird es für ihn. Spätestens, wenn Geld ins Spiel kommt, sind Fragen nach Macht und Politik nicht weit. So landet er bei den sportpolitischen Themen im Fußball. „Das macht mir wahnsinnig viel Spaß, und ich habe hier eine Nische gefunden“, sagt er. Über die Jahre hinweg hat er sich ein Netzwerk aufgebaut, Kontakte geknüpft, Vertrauen gewonnen. „Man muss die Leute vor der Nase haben“, ist Nahar überzeugt. „Wenn die dich nicht kennen, spricht auch keiner mit dir. Man muss dahin gehen, wo es weh tut, wo die wichtigen Leute zusammenkommen: FIFA-Kongresse, Jahreshauptversammlungen, Verbandstreffen.“ Über langfristige Kontakte und einen stetigen Austausch kommt Nahar an Hintergrundwissen, das ihm einen Wissens- und Zeitvorsprung gegenüber anderen Redaktionen verschafft und die Möglichkeit bietet, Entscheidungen und Entwicklungen einzuordnen.

Warum hält es zum Beispiel Fifa-Boss Gianni Infantino für eine gute Idee, die Klub-WM ab 2025 auf 32 Teams aufzu-stocken? Warum finden das die Deutsche Fußball-Liga und kleinere Clubs nicht so gut? „Diese Zusammenhänge, die auf den ersten Blick sehr komplex und unverständlich wirken, zu erklären und auf das Wesentliche runter zu brechen, finde ich super interessant.“ Die Erkenntnis: Im Politik- und Wirtschaftssystem Fußball hängt alles mit allem zusammen. „Wenn du an einer Schraube drehst, passiert an vielen anderen Stellen auch etwas“, sagt Nahar. So habe ein Turnier mit mehr Teams und mehr Spielen wie die Klub-WM der Fifa Auswirkungen auf den Spielkalender im Männerfußball, auf Finanzfragen, auf den Frauenfußball. „Jeder neue oder vergrößerte Wettbewerb bindet Zeit, Geld und Aufmerksamkeit, was dann an anderer Stelle fehlt“, ordnet Nahar ein. „Und sind wir mal ehrlich: Jeder Fußballfan hat auch nur ein Leben.“ Fußballfan ist Chaled Nahar natürlich auch, aber: „Wenn Manchester City gegen Paris Saint-Germain spielt, zwei Klubs, die unter dem starken Verdacht stehen, das Financial Fairplay zu umdribbeln, dann merke ich schon, dass mir der Job den Spaß an dieser Begegnung genommen hat. Dann denke ich an Diktaturen, Staatsfonds, Wettbewerbsungleichheit und Verstöße gegen Finanzregularien. Spaß am Fußballkonsum ziehe ich eher aus Wettbewerben wie dem DFB-Pokal oder der Conference League.“

Der Experte macht keine Hoffnung, dass sich an diesem System im internationalen Fußball etwas ändern wird: „Die eine WM wird an das reichste Land im internationalen Fußball verschenkt. Die andere WM wird allen Klimazielen zum Trotz auf drei Kontinenten in sechs Ländern gespielt. Die Strukturen ermöglichen es, dass einzelne Personen sehr viel Macht über sehr viel Geld haben. Da braucht es einen politischen Willen, etwas zu verändern, aus dem Sportsystem selbst kann es diese Veränderung nicht geben.“ Denn das System bestrafe diejenigen, die Kritik äußern. „Das haben wir bei der norwegischen Verbandspräsidentin Lise Klaveness gesehen, die immer wieder erfolglos aus den Sitzungen kam, wenn sie sich für das im Grunde Richtige eingesetzt hat.“ Klaveness hatte zum Beispiel auf einem Fifa-Kongress eine Rede gehalten, in der sie die Fifa für ihre Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar kritisierte und den Weltverband zu Veränderungen im Umgang mit Menschenrechten und Diversität aufforderte. Ein weiteres Problem bestehe laut Nahar darin, dass Fragen offenblieben, weil sich die Personen, die Antworten geben könnten, aus der Öffentlichkeit zurückziehen und nicht mehr für Gespräche zur Verfügung stünden, zum Beispiel führende Funktionäre. Gerade deswegen lohnt es sich für Chaled Nahar, dran zu bleiben. Und er macht all denen Mut, die gerne im Sportjournalismus arbeiten möchten. „Sammelt Erfahrungen bei Lokalzeitungen und kleinen Medien, probiert euch da aus, übt, lernt aus Fehlern und findet vielleicht eine Nische, die euch interessiert!“

Text: Julia Neuburg

Zur Person

Chaled Nahar (44) kommt aus dem Oberbergischen und hat von 2000 bis 2006 an der Spoho Diplom-Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation studiert. Im Anschluss absolvierte er ein Volontariat bei der Kölnischen Rundschau. Heute arbeitet er als freier Journalist vor allem für die Sportschau und den Deutschlandfunk und berichtet über sportpolitische Themen.