Good Governance als Lösung?
Was haben warme Socken für den Platzwart mit Good Governance zu tun? Die Frage von Referent Dr. Remus Muresan mag auf den ersten Blick absurd klingen – nichts – doch wenn man sich mit Ethik-Codices und Good Governance-Leitlinien etwas intensiver beschäftigt, scheint sie berechtigt. Niedergeschrieben klingt in ihnen fast alles gut: von Umweltschutz bis Anti-Doping. Doch wo fängt sinnvolle Good Governance an und wo darf sie vielleicht auch ein Ende haben? Zu diesem Thema diskutierten Experten aus Recht, Politik, Sport und Wirtschaft am 8. Kölner Sportrechtstag.
Seit den 1980er Jahren boomen Bestrebungen zu Compliance und Good Governance vor allem in Wirtschaftsunternehmen. Nahezu jedes Unternehmen, das den Anspruch hat, transparent zu sein, richtet Corporate Governance-Stellen ein und beschäftigt Compliance-Beauftragte, die die entsprechenden Governance-Richtlinen dann umsetzen sollen. Da liegt es nicht fern, dass auch ausgegliederte Profiabteilungen von Sportvereinen, die mehr Umsatz generieren als viele Wirtschaftsunternehmen, diesen Bestrebungen folgen. Gerade wenn viele Sportbegeisterte das Vertrauen in die glaubwürdige Arbeit von Sportfunktionären zu verlieren scheinen, könnte Transparenz ein geeignetes Mittel sein, Vertrauen zurückzugewinnen.
Die VfL Wolfsburg-Fußball GmbH hat hierzu einen Anfang gemacht. Mit der Volkswagen AG als Eigentümerin ist sie einer der ersten Bundesligisten, der ein detailliertes System zu Compliance-Maßnahmen entwickelt hat. Richtlinien, die in Wirtschaftsunternehmen bereits länger Anwendung finden, sind somit auch im Sport für festangestellte und ehrenamtliche MitarbeiterInnen Pflicht. Dr. Tim Schumacher, Geschäftsführer Recht und Compliance der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH, berichtete anlässlich des Sportrechtstages ausführlich von dem präventiven Compliance-Konzept der „Wölfe“, das hierfür in die Wege geleitet wurde. Das Spannende sei laut Schumacher, dass Compliance nicht von oben vorgegeben, sondern von den Mitarbeitern gelebt werde.
Die allgemeinen Bestrebungen des Sports zur Etablierung von Good Governance wurden von Dr. Katharina Lammert gelobt: noch nicht komplett ausgereifte Governance-Maßnahmen seien immerhin besser als gar keine. Sie sprach sich gleichzeitig aber dafür aus, Überwachungsmechanismen zu vereinheitlichen. So könne der Umgehung bislang uneinheitlicher Richtlinien vorgebeugt und ihnen somit mehr Akzeptanz und mehr Entscheidungsgewalt verliehen werden. Auf beispielhafte Problemfelder, die sich derzeit zwischen Good Governance und Arbeitsrecht ergeben, ging Prof. Martin Gutzeit, Mitinitiator des Studiengangs LL.M. Sportrecht und Experte für Arbeitsrecht, ein.
Kritik kam auch von Prof. Stephan Wassong. In seinem Vortrag über die historischen und gegenwärtigen Problemfelder der Good Governance zeigte er anhand der Geschichte des IOC auf, wie viel Zeit zwischen ersten Bestrebungen und Umsetzung neuer Maßnahmen vergehen kann. Erst 2004 tauchte das Wort „Governance“ in der Olympischen Charta auf, nachdem der öffentliche Druck durch Dopingvorfälle im Radsport zu groß geworden war. Prof. Wassong verdeutlichte anhand von Parallelen in der Abschaffung des Amateurparagraphen und der derzeitigen Glaubwürdigkeitsdiskussion, dass Vision und Realität sich erst massiv unterscheiden müssten, bis Veränderungen umgesetzt werden.
Welche Vision die Good Governance-Bestrebungen verfolgten, fragten sich Prof. Stefan Schneider und Dr. Remus Muresan. „Man hat den Eindruck, wenn es im Sport irgendein Problem gibt: Governance ist die Lösung“, so Muresan. Er bemängelte vor allem die konturlose und sinnentfremdende Diskussion, die derzeit um Good Governance geführt würde und sprach sich für eine stärkere Abgrenzung aus: „Das uferlose, beliebige Geplappere in Bezug auf Good Governance muss aufhören.“ Als Lösung hierfür sieht er die Rückbesinnung auf das eigentliche Ziel der Corporate Governance, nämlich die Verhinderung von Machtmissbrauch. Die „Drohung mit der großen Governance-Keule“ sei kein Allheilmittel.
Prof. Schneider sprach sich für die Rückbesinnung auf menschliche Werte, die durch den Sport gefördert würden und deren Vermittlung die übergeordnete Chance des Sports seien, aus: „Ein Code zu Good Governance kann uns an die wirklich wichtigen Werte erinnern. Schöner wäre aber, wenn er es nicht müsste. Wenn selbstverständlich das gelebt würde, was in diesen Codes steht.“ Für ihn ginge es nicht darum, die Auslegungsmöglichkeiten von Gesetzen möglichst gut auszuschöpfen, sondern die darin niedergeschriebenen Werte verinnerlicht zu haben. „Und dafür braucht es menschliche Größe“, so Schneider.
Warme Socken für den Platzwart sind Ausdruck menschlicher Größe. Sie sind Beispiel einer einfachen, netten Geste, die in einer kommerzialisierten Sportwelt zwischen Menschen und zwischen Sportvertretern vielleicht zu selten geworden sind. Mit Good Governance-Richtlinien und der Verhinderung korruptiver Praktiken haben sie nichts zu tun – solange sie preislich im vertretbaren Rahmen sind.