Nebenberuflich nach Rio
Drei Wochen ist es jetzt her: Die DFB-Frauen wurden Olympiasiegerinnen. Zeit, einmal auf mögliche Hintergründe des Erfolgs zu schauen. Mit in Brasilien waren nämlich Martin Vogelbein, Dennis Hill und Paul Schuhte vom Institut für Kognitions- und Sportspielforschung, die die Fußballnationalmannschaft der Frauen bei den Olympischen Spielen in Rio als Spielanalysten unterstützten. Darüber hinaus waren die Studierenden des Zertifikatsstudiengangs Spielanalyse Team Köln in die Gegneranalyse der deutschen U23-Nationalmannschaft bei deren Olympia-Mission eingebunden.
Die Fußballnationalmannschaft der Frauen ist Olympiasieger 2016. Neben einer guten Vorbereitung, Siegeswillen und dem berühmten Quäntchen Glück gehört zu der Verwirklichung eines solchen Traums auch die professionelle Vorbereitung auf mögliche Gegner und die detaillierte Analyse der eigenen Spiele. Wurde die sogenannte Spielanalyse früher noch vom Trainerstab mit abgedeckt, so verstärken Profi-Mannschaften seit Jahren ihre Zusammenarbeit mit Spielanalysten aufgrund positiver Erfahrungen in der Zusammenarbeit. So auch mit dem „Team Köln“, dem Spielanalyse-Team des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. „Dennis und ich waren letztes Jahr schon als Scouts bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft in Kanada mit vor Ort, sind rumgereist, haben Spiele beobachtet, Berichte geliefert und Analysen nachbereitet“, sagt Martin Vogelbein, der kurze Zeit nach der WM fest in die Analyseabteilung der Frauen-Nationalmannschaft integriert wurde. Die Arbeit der Spielanalysten scheint damals gut angekommen zu sein, denn die Sportliche Leitung der DFB-Frauen äußerte den Wunsch, auch bei den Olympischen Spielen wieder mit Scouts des Team Köln zusammenzuarbeiten.
Spielanalyse beim Olympischen Fußballturnier bedeutet einen enormen planerischen Aufwand. Es gibt drei Gruppen á vier Mannschaften, die Spiele sind eng getaktet und finden an vielen verschiedenen Spielorten statt. Der Trainerstab und die Spielerinnen haben demnach kaum Zeit, sich intensiv mit allen potentiellen Gegnerinnen auseinanderzusetzen und wurden daher durch drei Spielanalysten der Sporthochschule unterstützt. Da die Spiele entweder gleichzeitig oder kurz zeitversetzt stattfanden, beobachteten Dennis Hill und Paul Schuhte die Spiele der anderen beiden Gruppen und lieferten die Informationen an den Trainerstab. So konnten sich Tim Plöger (Analyst der Frauen-Nationalmannschaft) und Martin Vogelbein stets auf die Nachbereitung der eigenen Spiele sowie die Analyse des unmittelbar bevorstehenden Gegners konzentrieren und intensiv mit dem Trainerteam besprechen. Während Vogelbein in der Gruppenphase noch Live-Eindrücke von den nächsten Gegnerinnen sammeln konnte (durch sogenannte Doubleheader-Ansetzungen), gab es diese Möglichkeit ab der K.O.-Phase nicht mehr. Die Arbeit von Hill und Schuhte, die die anderen Viertelfinals und auch das Halbfinale ohne deutsche Beteiligung im Stadion live sahen, wurde daher noch wichtiger.
Im Rahmen der Vorbereitung wurden die gegnerischen Spiele live im Stadion verfolgt und per Handy-App direkt getaggt. Relevante Aktionen können mit diesem Verfahren direkt markiert werden und bei der späteren detaillierten Analyse schnell mit dem Videobild synchronisiert werden. Hätten Spiele nicht live im Stadion mitverfolgt werden können, da sie parallel zu den deutschen Spielen stattfanden, bedeutete dies einen enormen zusätzlichen Zeitaufwand in der Nachbearbeitung. Ziel der Gegneranalyse ist stets, Videosequenzen herauszuarbeiten, die die Spielidee der gegnerischen Mannschaft repräsentieren und diese dem Trainerstab zu präsentieren. Hierbei konnten Hill und Schuhte fundierte Erkenntnisse aus der Live-Analyse liefern, die Vogelbein in die Aufbereitung der Besprechung einfließen ließ. Letztlich wurden die wichtigsten Schwerpunkte selektiert und an die Mannschaft herangetragen. „Man versucht das möglichst komprimiert zu machen, weil man die Mannschaft nicht über Stunden hinweg beanspruchen, sondern möglichst prägnant informieren will. Die Sitzungslänge sollte also möglichst kurz sein – idealerweise 10-15 Minuten, maximal 30 Minuten“, so Vogelbein.
Gerade im Frauenfußball sind die taktischen Spielzüge gut ersichtlich, denn „die Spielerinnen sind mittlerweile auf einem sehr hohen technisch-taktischen Niveau. Dadurch, dass das Tempo, bedingt durch die Physis, etwas geringer ist, macht es die Analyse ein wenig leichter“, so Dennis Hill. Wo im Männerfußball aufgrund der hohen Geschwindigkeit geplante Spielzüge teilweise situativen Entscheidungen weichen, kann man laut Hill im Frauenfußball besser die taktischen Überlegungen der Trainer erkennen. „Das macht für mich den Frauenfußball sogar teilweise attraktiver, weil man die Ideen der Trainer viel deutlicher erkennen kann. Das finde ich spannend.“ Für die Zukunft kann sich das Team Köln eine Unterstützung der Fußball-Nationalmannschaft im Bereich der Spielanalyse auch bei weiteren Turnieren gut vorstellen.
Martin Vogelbein ist mittlerweile nebenberuflich bei der U20-Nationalmannschaft der Männer als Analyst beschäftigt und Dennis Hill haben die Olympischen Spielen besonders für den Frauenfußball begeistert. Eine Kooperation mit den DFB-Frauen beim nächsten Großereignis, den Europameisterschaften 2017 in den Niederlanden, wäre ein nächstes Ziel. Bis dahin profitieren vor allem die wissenschaftliche Arbeit der Sporthochschule und die Lehre im M.A. Spielanalyse sowie dem Zertifikatsstudiengang Spielanalyse Team Köln von den Erfahrungen der drei Wissenschaftler.
Mehr Informationen zur Videoanalyse sowie Martin Vogelbein und Tim Plöger im Interview sehen Sie im Video der DFB-TV Wissensreihe.