Der Weg zurück in die Erfolgsspur
Knapp 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Ende April beim Kongress „Nachwuchsförderung NRW“ zu Gast an der Deutschen Sporthochschule Köln. Vor dem Hintergrund von zuletzt wenig erfolgreichen deutschen Sportjahren forderte Ministerin Ute Schäfer eine „systematische Kursänderung“ in der Jugendarbeit.
Zwischen 27 und 42 Medaillen: So lautete die Zielvorgabe des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) für die Olympischen Winterspiele, die im vergangenen Februar in Sotschi stattfanden. Am Ende stand einer eher magere Ausbeute von 19 Edelmetall für die deutschen Athletinnen und Athleten und ein sechster Rang im Medaillenspiegel. Um über diese Entwicklung und das eigene System der Talentförderung zu diskutieren, kamen beim Kongress „Nachwuchsförderung NRW 2014“ Trainerinnen und Trainer, Athletinnen und Athleten, Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler und Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten zusammen. Gemeinsam mit dem Landessportbund NRW und dem Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport „momentum“ hatte das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW an die Deutsche Sporthochschule Köln eingeladen.
Den traditionsreichen Kongress, der zum 29. Mal viel Fachwissen zum Sportnachwuchs bündelte, eröffnete „momentum“-Leiter Univ.-Prof. Dr. Joachim Mester mit seinem Referat „Begabung, Talent, Belastung und Training“. In den vergangenen 20, 30 Jahren habe sich die deutsche Medaillenausbeute bei Olympischen und Paralympischen Spielen halbiert, erläuterte Mester. Eine Trendwende zum Positiven sei nicht erkennbar. Zudem zeige sich diese Negativphase bei vergleichbaren Nationen nicht. Im Gegenteil: Großbritannien kann mit einer sehr konsequenten und systematischen Sportförderung erhebliche Zunahmen in den Medaillengewinnen verzeichnen.
Einen ganz anderen thematischen Schwerpunkt setzte der Psychologe Dr. Arno Schimpf in seinem Vortrag. „90 Prozent sind mental, der Rest ist Kopfsache“, zitierte er Diskus-Olympiasieger Robert Harting und machte deutlich, wie wichtig Kopf, Lust und Leidenschaft für den Erfolg seien. „Diese Aspekte entscheiden, wer vom Trainingsweltmeister zum erfolgreichen Wettkämpfer wird“, erklärte Schimpf.
Wissenschaft und Praxis verknüpfen
Wissenschaft und Praxis zu verbinden sowie Forscher, Trainer und Athleten zum Austausch anzuregen, gelang insbesondere bei den praktischen Arbeitskreisen im Leichtathletikzentrum. Die zahlreichen angehenden Trainer im Publikum erlebten beispielhafte Trainingseinheiten von Nachwuchssportlerinnen und -sportlern im Judo, in der Leichtathletik, im Basketball und Radsport. Der sogenannte „Basischeck“, den „momentum“ seit 2006 regelmäßig durchführt, hatte Ausdauerdefizite bei vielen Kaderathleten offenbart. Sportartspezifisches „High Intensity Training“ (HIT) könne dem entgegenwirken. „Unsere Diagnostik- und Trainingscamps haben gezeigt, dass die Ausdauer durch sportartspezifische HI-Trainings verbessert wird“, sagte Paula Sperlich von „momentum“.
„HIT oder nicht HIT?“ wog Univ.-Prof. Dr. Billy Sperlich die Pros und Contras des spezifischen Trainings im Anschluss an die Praxis noch einmal im Hörsaal ab. Aus medizinischer Perspektive blickte Prof. Dr. Johannes Breuer vom Universitäts-Klinikum Bonn auf das Thema Nachwuchsförderung. Der Kinderkardiologe klärte in seinem Vortrag darüber auf, wie Trainerinnen und Trainer herzkranke Sportler integrieren können. Des Weiteren war Prof. Dr. Albert Ziegler zu Gast, der einen Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg hat und aus seinen Erfahrungen bei der Hochbegabtenförderung berichtete.
Zwischen Anspruch und Realität
Ein weiterer Höhepunkt des ersten Tages war die von WDR-Moderator Claus Lufen geführte Podiumsdiskussion. Zum Thema „Anforderungen auf dem Weg an die Spitze“ hatte er mit Hermann Hummels (Vater von BVB-Profi Mats Hummels), Henning Lambertz (Cheftrainer vom Deutschen Schwimmverband) und Wolfgang Maier (DSV-Alpindirektor) drei Trainer auf dem Podium stehen, die jahrelange Erfahrung im Spitzensport vorweisen können. Thematisiert wurden insbesondere die finanzielle Situation der Verbände und die realisierbare Talentförderung. Vor allem Maier machte deutlich, wie groß die Kluft zwischen Anspruchsdenken und (finanzieller) Realität derzeit in Deutschland sei. Komplettiert wurde die Runde durch Robin Schembera (Bayer 04 Leverkusen) und Lisa Schmidla (Crefelder Ruder Club), die Einblicke in den Alltag aktiver deutscher Spitzensportler gewährten.
Der zweite Kongresstag startete mit dem „Experten-Hearing“: Sechs wissenschaftliche Kurzvorträge über körperliche Belastung, Regeneration und Doping standen auf dem Tagesprogramm. Unter dem Titel „Frühe Fehler, späte Reue“ referierte Univ.-Prof. Dr. Gerd Peter Brüggemann (DSHS) über den optimalen Zeitpunkt eines Wiedereinstiegs in das sportliche Training nach einer Verletzung. Professor Bloch thematisierte eindrucksvoll das aktuelle Forschungs-Highlight der genetischen Voraussetzungen bei der sportlichen Leistung: Man könne sehr wohl auf molekularer Ebene richtiges von falschem Training trennen. Univ.-Prof. Dr. Jens Kleinert stellte provokante Thesen in den Raum, nach denen der einzelne Athlet viel früher und gezielter auf sich selbst gestellt werden sollte, um seine Eigenverantwortlichkeit zu stärken. Dem Thema Doping widmete sich das Referat „Unerlaubte Substanzen – Ausweg in die Falle“ von Univ.-Prof. Dr. Mario Thevis aus dem Institut für Biochemie der Sporthochschule.
Im Abschluss-Vortrag erklärte der Mediziner Dr. Dr. Michael Behringer die stark diskutierte Frage des Krafttrainings mit Kindern und Jugendlichen. Überbelastungsschäden und Beeinträchtigungen des Knochenwachstums seien weitgehend unbegründete Befürchtungen, so Behringer, der diese Thesen auf neueste Untersuchungen stützte. „Die im Krafttraining gewonnenen Kraftzuwächse, kommen der sportlichen Leistungsfähigkeit in anderen Bereichen zu Gute“, sagte er.
Kompetenzen zielgerichtet einsetzen
Insgesamt sehr lobende Worte fand Wolfgang Fischer vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW für den Kongress. Die Sporthochschule und „momentum“ seien ein „perfekter Gastgeber“ gewesen. Eine Reihe von Lösungsansätzen stellte dar, wie deutsche Erfolge bei internationalen Wettkämpfen wieder realisierbar seien. Konkretes Handeln forderte auch Univ.-Prof. Dr. Joachim Mester: „Wir sollten weniger über Zuständigkeiten reden, sondern viel mehr über Kompetenzen. Die haben wir in Nordrhein-Westfalen, wir müssen sie nur zielgerichteter ein- und in der Praxis umsetzen.“