Von der Deutschen Sporthochschule zum Deutschen Meister
Erst Student, dann Dozent: Ahura Bassimtabar hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt. 2021 schloss er den Weiterbildungsmaster M.Sc. Sportphysiotherapie der Sporthochschule Köln erfolgreich ab und ist nun Dozent im Modul Sportphysiotherapeutische Behandlungsmethoden. Ein Jahr lang war er leitender Physiotherapeut der Jugendabteilung beim deutschen Fußballmeister Bayer 04 Leverkusen, seit kurzem ist er sogar ins Physio-Team für die Profis aufgestiegen. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen im Masterstudium, seinen abwechslungsreichen Tätigkeiten und den Eigenschaften von guten Sportphysiotherapeut*innen.
UW: Herr Bassimtabar, was haben Sie aus Ihrem Masterstudium besonders mitgenommen? Gab es eine Situation, oder einen Bereich, der Sie nachhaltig geprägt hat?
Ahura Bassimtabar: Der interdisziplinäre Charakter des Studiums. Ich würde jetzt nicht eine Sache herauspicken. Aber die unterschiedlichen Module sind ja jeweils eine Wissenschaft für sich. Einblicke in diese Bereiche regen dazu an, über seinen Tellerrand hinaus zu schauen, und sich in andere Disziplinen, wie z.B. der Sportpsychologie, Sportwissenschaft oder Sporternährung, einzuarbeiten. Vorsicht: Ein Einblick in diese Bereiche macht dich nicht zu einem Experten, gibt aber eine sehr solide Basis, auf der man selbst weiter aufbauen kann. Was mich noch nachhaltig geprägt hat: Das Umfeld. Das Umfeld aus 24 ehrgeizigen Sportphysiotherapeuten mit einem offenen Professoren- und Dozententeam waren ein toller Nährboden für meine fachliche und persönliche Weiterentwicklung.
Wie unterscheidet sich die Sportphysiotherapie von normaler Physiotherapie?
Jede Population, mit der man arbeitet, bringt spezifische Voraussetzungen und Kontextfaktoren mit. Auch der „normale“ Patient. Aber das Ziel ist immer identisch: Die Wiederherstellung der maximalen/gewünschten Leistungsfähigkeit durch rehabilitative Maßnahmen und der Beibehalt dieser durch präventive Maßnahmen. Das motorische Endziel eines Hochleistungssportlers ist natürlich komplexer, als das in einer Praxis. Statt wieder seine Gartenarbeit verrichten oder zwei Mal die Woche joggen gehen zu können, muss der Spieler 90 min laufen, sprinten, cutten, tacklen, passen, schießen und be- und entschleunigen können. Dafür hat man aber auch den Spieler von der ersten Sekunde an in seiner Betreuung, kann viel einfacher lenken, in einem großen Team gemeinsam strukturieren und täglich mehrere Stunden mit ihm arbeiten. Das schafft man in einer gängigen Praxis, wo man die Patienten meist nur zwei Mal in der Woche für 30 min sieht, nicht. Ich würde zusammenfassend sagen, dass das Endziel anspruchsvoller und die Planung umfangreicher, dafür aber die Arbeitsbedingungen und Umsetzungsmöglichkeiten einfacher sind. Nicht zuletzt auch weil der Sportler alles seiner Reha unterordnet, oder unterordnen kann. Das ist als „normaler“ Patient nicht immer möglich.
Wie ging es für Sie nach dem Master weiter?
Durch Corona wurde mein Masterabschluss mit der damit verbundenen Masterarbeits-Studie etwas aufgeschoben. Ich war allerdings schon vorher von Fortuna Düsseldorf zu Bayer 04 Leverkusen gewechselt und habe die physiotherapeutische Betreuung der U17 übernommen. Es war meine erste Vollzeitanstellung im Sport. Nach dem Abschluss machte ich meine Studie publikationsreif und reichte diese ein, welche mittlerweile publiziert ist. Zudem nahm ich an einigen Kongressen teil, wo ich meine Studienergebnisse vorstellen durfte, arbeitete nebenbei an der HS Niederrhein in Krefeld als wissenschaftlicher Mitarbeiter und fing auch an der Spoho an zu dozieren. Ich habe nach einer Zwischenstation in der U19 nun die Position als leitender Physiotherapeut des Nachwuchses bei Bayer inne und stoße zur neuen Saison als Sportphysiotherapeut zur Profimannschaft, die dieses Jahr eindrucksvoll das Double gewonnen hat; auch wenn man das in Köln nicht gerne hört. ;) Über den beruflichen Weg nach meinem Masterabschluss bin ich sehr zufrieden.
Welche Besonderheiten bringt die Arbeit mit motivierten Nachwuchssportlern mit sich?
Die Arbeit mit Nachwuchssportlern hat Vor- und Nachteile. Einige Vorteile sind ihre noch stärker vorhandene Formbarkeit, ihr grundsätzliches Vertrauen in den Therapeuten, ihre Dankbarkeit für jede Hilfestellung und ihr Wille Empfohlenes auch umzusetzen. Kurz gefasst: eine hohe Compliance. Das heißt aber nicht unbedingt, dass das Coping adäquat ist. Motivierte Nachwuchssportler kennen ihren eigenen Körper oftmals noch nicht so gut wie ein 27-jähriger Profi. Dies kann einerseits dazu führen, dass sie aufgrund von Drucksituationen oder Unwissenheit körperliche Warnsignale ignorieren, wofür man sie jedoch sensibilisieren und die Relevanz der Berücksichtigung bestimmter (ich sage bewusst bestimmter, nicht aller) Warnzeichen unterstreichen und beibringen muss. Andererseits gibt es aber auch die Fälle, in denen junge Nachwuchssportler trotz hoher Motivation - oder vielleicht gerade wegen hoher Motivation – bei körperlichen Beschwerden und dem Gefühl des „Nicht-Funktionierens“ durch Unsicherheiten in Sorge, Frust und Passivität verfallen, welche es wiederum durch eine adäquate Kommunikation und therapeutische Führung zu desensibilisieren und zu ermutigen gilt. Stichwort Resilienzschulung.
Führt der Druck im Hochleistungssport zu mehr Verletzungen?
Das kann man so nicht beantworten. Einerseits gibt es keine klare Datenlage für unterschiedliche Verletzungszahlen zwischen Profi- und Amateursportlern. Und selbst wenn es diese gäbe ist die Frage, ob „Druck“ ein Risikofaktor für diesen vermeintlichen Unterschied ist. Mein Bauchgefühl sagte aber aufgrund der Erfahrungen, die ich gemacht habe, nein. Ich denke es kommt immer darauf an, was man mit dem Druck, den es zweifelsohne aus verschiedensten Richtungen gibt, macht. Reguliert man diesen nicht, so erhöht man die Gefahr für Überlastungserscheinungen. Nimmt man den Druck raus und packt die Spieler in Watte, läuft man Gefahr, dass sich die Belastbarkeit der Sportler nicht an die steigenden Belastungen anpasst, was auch wiederum zu Überlastungen und Verletzungen führen kann. Ich sehe mich als Regulator und passe mich an jeden individuellen Fall an: Fehlt mir der Druck, mach ich dem Athleten etwas Feuer. Herrscht zu viel Druck, den ich als kontraproduktiv einschätze, bemühe ich mich um atmosphärische Beruhigung.
Seit letztem Jahr sind Sie auch in unserem Master im Modul Sportphysiotherapeutische Behandlungsmethoden als Dozent tätig. Wie ist es für Sie, jetzt auf der anderen Seite zu stehen?
Zunächst einmal genieße ich jede Unterrichtsstunde und bin dankbar für jeden Austausch und hoffe, den Studierenden Wertvolles mitgeben zu können. Es war schon von Anfang an mein Wunsch, neben meiner praktischen Tätigkeit, die ich übrigens niemals ablegen könnte, auch in den Bereichen Forschung und Lehre aktiv zu sein, ohne die ich mir heute mein Arbeitsleben jedoch auch nicht mehr vorstellen kann. Da ich vorher schon vor klassischen Berufsfachschülern und Bachelorstudenten doziert hatte, war es für mich keine Riesen Veränderung. Dennoch ist das Dozieren auf Masterniveau nochmal etwas Anderes, dessen Anforderungen ich versuche gerecht zu werden. Ich habe aber quasi mit meinem Masterabschluss direkt als Dozent hier im Masterstudiengang angefangen. Diese plötzliche Rollenveränderung war eine sehr spannende Erfahrung. Mein Vorteil war, dass ich die Ansprüche und Wünsche aus der Studentensicht noch gut kannte und wusste, wie ich den Nerv der Gruppe treffen kann.
Ihr Forschungsschwerpunkt ist Pain Science. Worum handelt es sich dabei genau?
Die Entstehung, Verarbeitung und Linderung von Schmerz ist hoch komplex und wird leider traditionell in der Praxis sehr reduktionistisch betrachtet. Die Schmerzforschung hat in den letzten Jahren, auch aufgrund des technologischen Fortschritts, viele neue Erkenntnisse erlangt, besonders aus den Bereichen der Neurowissenschaften. Diese Erkenntnisse haben jedoch besonders in Deutschland kaum Einzug in die Ausbildung erhalten. Ich beschäftige mich damit vermeintliche Wissenslücken zu identifizieren und durch Interventionen wie Pain Neuroscience Education (PNE) und Lehre zu schließen und an internationale Standards anzupassen. Meine Masterarbeits-Studie zeigte große Wissensmängel auf, seitdem nehme ich durch viele Hochschulen den Willen für curriculare Veränderungen wahr und bin hier und da mal im Rahmen von Gastvorträgen aktiv. Dadurch ist unter anderem auch das neue Fach „Modern Pain Science“ an der Sporthochschule entstanden, in dem ich aktuelle Erkenntnisse zur Schmerzforschung mit praktischem Bezug an die Masterstudenten weitergebe.
Was würden Sie sagen, sind für einen Sportphysiotherapeuten oder eine Sportphysiotherapeutin besonders wichtige Eigenschaften?
Durch das Erlangen interdisziplinärer Fertigkeiten stehen einem, denke ich, in allen sport- und therapiebezogenen Berufsfeldern die Türen offen. Durch den Mix aus der bereits absolvierten medizinischen Ausbildung zum Physiotherapeuten, dem Bachelorstudium, mit der Weiterbildung in einem sportwissenschaftlich und sportmedizinisch orientiertem Sportphysiotherapiestudium mit statistisch-wissenschaftlich-methodologischen Facetten, ist man ein Experte für alle Fragen rund um Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation; ob in Sportvereinen, Rehazentren, Forschungseinrichtungen oder an Universitäten.
Zu guter Letzt: Was möchten Sie Studierenden noch mit auf den Weg geben?
An der Sporthochschule herrscht ein sehr offenes Miteinander, was für eine solch angesehene Uni nicht selbstverständlich ist. Das sollte man aber auch zu seinen Gunsten nutzen und die 2 Jahre nicht nur „abarbeiten“. Ich wünsche mir, dass die Studierenden diese lehrreiche Zeit nutzen, um den Grundstein für eine tolle berufliche Zukunft zu legen und vielleicht hier und da noch ein paar PS mehr rausholen. Die Zeit ist jetzt. Und: Man sollte nie einen Master machen, nur um einen Master gemacht zu haben. Dieser Titel bringt eine Verantwortung mit sich, der man auch nach dem Abschluss gerecht werden sollte. Aber: Der Master macht dich nicht automatisch zu einem besseren Therapeuten. Ich wünsche mir einen gesunden Mix aus positivem Drive, Selbstbewusstsein und den Willen Dinge positiv zu verändern auf der einen, und Bodenständigkeit, Bescheidenheit und Demut auf der anderen Seite, um die anstehenden Herausforderungen unserer Profession mit allen Beteiligten (Akademikern und Nicht-Akademikern) gemeinsam stemmen zu können.
Der Master of Science Sportphysiotherapie an der Deutschen Sporthochschule Köln
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Ab Mitte August 2025 kann man sich für den nächsten Jahrgang bewerben, dieser startet dann im April 2026.