Interview mit Dr. Heinz Kleinöder

Dr. Heinz Kleinöder ist Experte für das Training mit Elektromyostimulation und leitet unsere Weiterbildung EMS-Ganzkörpertraining. Foto:©lunamarina/Fotolia.de

Dr. Heinz Kleinöder ist Experte für das Training mit Elektromyostimulation (kurz: EMS-Training) und führt an der Deutschen Sporthochschule zahlreiche Projekte und Studien in diesem Bereich durch. Sein Wissen gibt er in unserer Weiterbildung EMS-Ganzkörpertraining an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiter. Im Gespräch mit der UW verrät er, wie Sportmuffel mit Hilfe von EMS-Training zu mehr Sport motiviert werden können und worauf bei einem EMS-Training geachtet werden muss.

 

UW: Herr Kleinöder, es gibt immer mehr EMS-Studios, die allesamt damit werben, dass nur 20 Minuten Training pro Woche ausreichen. Stimmt das wirklich? Gibt es hierzu wissenschaftliche Untersuchungen?

Dr. Kleinöder: Hier muss man ein bisschen auseinanderhalten. Wenn man in epidemiologische Studien schaut, sind der Aufwand und die Intensität eines Trainings zur Förderung der Gesundheit nicht besonders hoch. Man muss nur regelmäßig trainieren, vielleicht zweimal pro Woche eine halbe bis dreiviertel Stunde. Von daher kann man sagen: Um die Gesundheit zu fördern, reicht wenig Training grundsätzlich aus.

Bei EMS ist es dann so, dass im Prinzip zwei Mechanismen arbeiten. Man macht eine Übung, dann kommt der Strom dazu und intensiviert die Übung. In den Studios werden meistens eher statische Übungen gemacht. Also man steht, dann übernimmt der Strom sozusagen und verstärkt die Kontraktion. Wenn ich das 20 Minuten lang mache, ist es insofern hilfreich, als dass ich damit in extrem kurzer Zeit den ganzen Körper trainiere. Den größten Vorteil sehe ich eigentlich darin, dass durch das Ganzkörpertraining eine Bewegungswahrnehmung geschaffen wird. Denn es stellte sich heraus, dass Leute, die weniger mit Sport verbunden sind, eine verbesserte Wahrnehmung sehr gut gebrauchen können. Sie lernen ihren Körper kennen und dadurch wird der Mensch dann auch aufgeschlossen, vielleicht auch andere Dinge zu tun. Also einmal EMS ist der Woche, ist besser als keinmal, aber man sollte vielleicht noch etwas anderes dazu tun.

Also spricht EMS vor allem Sportmuffel an, die ihre Körperwahrnehmung verbessern müssen?

Es kommt natürlich noch die Kraftverbesserung dazu, da gibt es genüg Studien. Letztendlich kommt der Reiz ja aus einem etablierten Genre: aus der Medizin. Man hat Patienten, die wenig mobil waren, mit EMS stimuliert und dann zeigte sich, dass die Muskelatrophie deutlich geringer ausfällt, als wenn ich nichts tue. Der Reiz hat also natürlich eine Kraftrelevanz. Ich finde aber gerade diese Aufschlüsselfunktion, dass man wieder etwas tut über EMS einen großen Benefit. Die Couchpotato muss ja irgendwie animiert werden, was zu tun, damit sie gesund bleibt. Und da ist EMS auf den ersten Blick der bequemste Reiz.

Das kann ja auch ein guter Motivationsgrund sein.

Aber das ist der Punkt: EMS ist kein Training für faule, sondern es ist ein intensives Training. Wenn man es ausprobiert, merkt man schnell, dass es ziemlich anstrengend ist, wenn alle Muskelgruppen gleichzeitig gereizt sind. Der, der es durchführt, ist immer wieder überrascht. Und es geht tatsächlich in Richtung Körperwahrnehmung. Wenn man den Körper besser wahrnehmen kann und sieht, dass da Verbesserungen sind, dann will man ja weiter. Daraus ergibt sich letztendlich ein positiver Kreislauf.

Welche Trainingseffekte können darüber hinaus mit dem EMS-Training erzielt werden?

In den Studios wird es in erster Linie darum gehen, Muskelgruppen, die vielleicht Schmerzen bereiten, auf eine einfache Art und Weise zu stabilisieren, zum Beispiel den Rücken. Ich brauch mich  nicht viel zu bewegen, der Strom geht in die Tiefe des Körpers und stimuliert die Muskeln. Das ist mit Sicherheit ein positiver Nutzen. Weitere Effekte sind natürlich generell der Muskelaufbau. Das kann eine relativ intensive Stimulation sein. Theoretisch kann EMS auch zur Intensivierung im Ausdauerbereich eingesetzt werden, das wird in den Studios aber eher selten gemacht. Da geht es mehr um Kraftfaktoren. Da haben wir über die Hypertrophie (Muskelwachstum) natürlich auch eine Verbesserung der Schnellkraft und eine Verbesserung der Maximalkraft. Alle diese Faktoren kann man im Alltag ganz gut gebrauchen.

In den Medien tauchen auch immer wieder Beiträge auf, die vor möglichen Gefahren mit dem EMS-Training warnen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Es gibt ja so einen alten Spruch: Die Dosis macht das Gift. Wenn man natürlich Elektrostimulation als verstärkenden Reiz zu intensiv einsetzt, dann wird das einerseits den Muskelkater des Lebens bedeuten, und wenn dann noch nicht bekannt ist, welche Kontraindikationen vorliegen, können schon Probleme entstehen. Also nehmen wir mal an, es kommt ein Trinker, der schon von vornherein geschädigte Leberwerte hat. Dann kann sich das durch ein intensives Training weiter verschlechtern. Ich bin allerdings schon ein wenig überrascht, dass EMS so intensiv beschaut wird. Andere Sportarten, die aus meiner Sicht ohne Begleitung ablaufen, wie zum Beispiel Freeletics oder Crossfit, stellen für mich viel größeres Gefahrenpotenzial dar. Hier wird tatsächlich in sehr hohen Intensitätsregionen trainiert und die Freizeitsportler sind manchmal nicht besonders geeignet dafür. Also von daher, muss ich sagen, sollte man das ein bisschen relativieren. Es gibt ein paar Einzelfälle, die lassen sich aber alle sehr schön zurückverfolgen auf entweder vorgeschädigtes Klientel oder dass eine extrem hohe und intensive Belastung auf einen nicht vorbereiteten Sportler angewendet worden ist. Ansonsten ist der Reiz wirklich bestens etabliert und er wird ja auch mit Personal Trainern durchgeführt, also hat man hier noch eine zusätzliche Absicherung.

 

Sie sind TrainerIn oder PhysiotherapeutIn und möchten lernen, wie Sie ein EMS-Training optimal durchführen? Dann besuchen Sie unsere Weiterbildung EMS-Ganzkörpertraining am 17./18. November. Weitere Informationen finden Sie hier: EMS-Ganzkörpertraining.