Was macht gute Sportphysiotherapeut*innen aus?
Vom Studenten zum Dozenten: Jonas Klemp hat 2018 unseren Weiterbildungsmaster M.Sc. Sportphysiotherapie erfolgreich abgeschlossen und ist nun Dozent im Modul Sportphysiotherapeutische Behandlungsmethoden für den Bereich Clinical Reasoning. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen im Masterstudium, seinen vielfältigen Tätigkeiten und den Eigenschaften von guten Sportphysiotherapeut*innen.
Klemp hat seinen Bachelor in Physiotherapie in Eindhoven abgelegt und war anschließend in diversen Praxen und Reha-Einrichtungen tätig. Von 2016 bis 2018 studierte er unseren Weiterbildungsmaster M.Sc. Sportphysiotherapie. Heute ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dozent und selbstständiger Physiotherapeut tätig.
UW: Herr Klemp, was haben Sie aus dem Masterstudium besonders mitgenommen?
Jonas Klemp: „Am meisten mitgenommen habe ich wahrscheinlich den Sport und die Wissenschaft. Prädominant geht es ja um diese beiden Begriffe im Studium. Aus deren Kombination ergibt sich dann das Arbeitsfeld der Sportwissenschaftler*innen, in dem ich mich heute auch teilweise wiederfinde. Ich weiß noch, wie mich beeindruckt hat, auf welchem Niveau an der Sporthochschule geforscht wird. Von den Eindrücken, die wir da erhalten haben, konnte ich definitiv viel mitnehmen, um so zu arbeiten, wie ich es jetzt tue.“
Also haben Sie das Masterstudium auch besonders wegen des sportlichen Aspekts gemacht?
„Ich habe für mich und meine Arbeit an den Patient*innen eigentlich immer den wichtigsten Schwerpunkt in der Trainingstherapie und im Sport gesehen. Nicht nur bei der Arbeit mit Sportler*innen im Allgemeinen, sondern auch bei normalen Patient*innen finde ich es wichtig, den sportlichen Aspekt und die Leistungsfähigkeit in den Vordergrund zu rücken und vor diesen Hintergrund Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Und das wollte ich eben in dem Master vertiefen.“
Wie ging es dann nach dem Master weiter?
„Ich habe bereits während des Masters als Dozent gearbeitet und war in der Reha tätig. Die Messungen für meine Masterarbeit habe ich dann in Krefeld an der Hochschule Niederrhein gemacht und habe dort nun inzwischen meine zweite befristete Anstellung im Rahmen von externen Projekten bekommen können. Zugunsten meines Engagements im Bereich der Sportwissenschaft und Biomechanik, habe ich dann schlussendlich auch meine Stunden in der Reha gekürzt.“
Was ist das für ein sportwissenschaftliches Projekt, in dem Sie tätig sind?
„Aktuell arbeite ich in der Produktentwicklung, wenn man das so sagen kann. Wir sind ein multidisziplinäres Team und versuchen eine Kniebandage für Kreuzbandpatient*innen zu entwickeln, die mit einem Smartphone oder Computer verknüpft werden kann und Daten über die Patient*innen liefert. Sie soll Winkelmaße erfassen und Bewegungsmuster erkennen können. Außerdem streben wir an, dass sie möglicherweise Instabilität im Kniegelenk abbilden kann. Das ist bisher noch nie richtig gelungen und es gibt keinen guten Goldstandard dafür.“
Was ist hier genau Ihre Aufgabe?
„Ich bin einer von zwei Physiotherapeuten im Team und auf der einen Seite beratend tätig. Ich muss schauen, was realistisch ist, was unrealistisch und was in der Praxis überhaupt gebraucht wird. Auf der anderen Seite führe ich wissenschaftliche Messungen durch. In diesem Fall erhebe ich in der Hauptsache kinematische Datensätze mit unserem Computersystem. Die Techniker und Informatiker versuchen dann, diese Daten mit Sensoren an der Proto-Bandage nachzustellen und ich validiere das System hinterher. Das wäre etwas, worauf uns die statistischen Grundlagen an der Sporthochschule zum Beispiel auch vorbereitet haben.“
Seit diesem Jahr sind Sie auch in unserem Master im Modul Sportphysiotherapeutische Behandlungsmethoden als Dozent tätig. Was lehren Sie hier genau?
„Der Themenkomplex heißt Clinical Reasoning. Dahinter verbirgt sich der Entscheidungsprozess für das begründete Vorgehen an den Patient*innen in Untersuchung und Behandlung. Das ist sowas wie mein Steckenpferd in der Physiotherapie und auch schon ein wichtiger Schwerpunkt in der Grundausbildung, der dort aber immer noch oft etwas vernachlässigt wird. Es ist sehr interessant, nun mit akademisierten Kolleg*innen an der Sporthochschule mit dem nötigen Tiefgang an die Sache heranzugehen und auch die Philosophie, die dahinter steckt, zu diskutieren.“
Was würden Sie sagen, sind für einen Sportphysiotherapeuten oder eine Sportphysiotherapeutin besonders wichtige Eigenschaften?
„Darum ging es unter anderem auch in meiner ersten Lehrveranstaltung. Ich sehe da schon ein paar Unterschiede zum regulären Praxisbetrieb, die man diskutieren und beleuchten muss. Sportphysiotherapeut*innen brauchen die Differenzierungsfähigkeit, was für Sportler*innen im jeweiligen Setting die beste Vorgehensweise ist. Wir haben gegenüber unseren Patient*innen ja immer die Pflicht, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu beraten. Das findet normalerweise in einer ruhigen Umgebung in Praxis, Reha oder Krankenhaus statt. Bei Sportler*innen haben wir aber oft eine ganz andere Situation. Wenn zum Beispiel jemand mit einer Platzwunde am Kopf auf dem Feld liegt, würde ich ihn normalerweise ins Krankenhaus fahren und das nähen lassen. Bei Sportler*innen wird es aber häufig geklebt. Da kann keiner sagen, dass das im Normalfall die beste Vorgehensweise für die Verletzung ist. Für Sportler*innen in dem Augenblick aber schon. Die sind voll mit Adrenalin, wollen unbedingt spielen, sich vielleicht für einen bestimmten Kader weiterhin qualifizieren und dafür ist Leistung wichtig, auch jetzt trotz der Verletzung. Dann muss man schon mal Entscheidungen treffen, die medizinisch betrachtet unter anderen Umständen nicht im besten Sinne der Patient*innen wären, aber hier fließen jetzt eben noch viel mehr Faktoren mit in das Reasoning ein. Und das ist nur eines von vielen Beispielen, an denen sich darstellen lässt, warum die Sportphysiotherapie so ein schwieriges Thema ist und sich von anderen Sub-Disziplinen in unserem Beruf unterscheidet.“
Also ist es dann für angehende Sportphysiotherapeut*innen wichtig, genau das herauszuarbeiten, was jetzt für Sportler*innen am besten ist und eben nicht für Patient*innen?
„Ja, ich denke diese Unterscheidung wird man in der Sportphysiotherapie in vielen Settings machen müssen. Da stoßen viele Therapeut*innen erstmal an ihre eigenen Grenzen. Was ich lernen muss, ist einzuschätzen, wie ich in welcher Situation bei den Sportler*innen die bestmögliche Compliance erzeuge. Das optimale Ergebnis meiner Therapie ist dabei dann eine Steigerung oder wenigstens der Erhalt von Leistung und Gesundheit. Nicht selten kommt man dann an den Punkt, an dem man sich zugunsten einer der beiden Säulen entscheiden muss, oder soll.“
Was möchten Sie den Studierenden noch mit auf den Weg geben?
„Dass sie die Zeit an der Sporthochschule aktiv zum Networking nutzen. Man hat auch während des Masters schon eine gewisse Außenwirkung, derer man sich bewusst sein sollte. Jede (Lehr-)Person, die man hier trifft, ist potenziell jemand, mit dem man hinterher beruflich wieder in Kontakt kommen kann. Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich direkt nachdem ich eine Prüfung abgelegt hatte, von dem Professor gefragt wurde, ob ich meine Masterarbeit bei ihm schreiben möchte. Und während der Masterarbeit wurde ich wiederum gefragt, ob ich hinterher nicht vielleicht Lust habe, dort in der Fakultät zu arbeiten. Ich glaube, gerade in einem Masterstudium an der Sporthochschule schauen die Dozent*innen schon extrem darauf, wer pfiffig ist und bei wem man Potentiale über die bloße Abschlussarbeit hinaus sieht. Da gibt es ja zig Möglichkeiten, zu promovieren oder eine wissenschaftliche Anstellung zu bekommen oder auch außerhalb empfohlen zu werden. Die Studierenden sollten auf jeden Fall ihre aktive Rolle in der ganzen Sache begreifen.“