„Wir haben noch wahnsinnig viel Potential“
Die Trainerin und ehemalige Handball-Nationalspielerin Heike Ahlgrimm über den deutschen Damenhandball, die bevorstehende WM und den Zertifikatsstudiengang European Handball Manager (EHM).
Frau Ahlgrimm, die WM-Botschafterin Maren Baumbach sagte zuletzt in einem Zeitungsinterview, in den Handballvereinen würden immer weniger Mädchen trainieren. Wie bewerten Sie die Nachwuchsförderung im deutschen Frauenhandball?
Ich glaube, dass wir schon gute Nachwuchsarbeit leisten, insbesondere mit der Einführung des Jugendzertifikates und der Eliteförderung im Damenhandball vor kurzer Zeit. Nichtsdestotrotz denke ich, dass wir da immer noch in den Kinderschuhen stecken. Sogar einige Bundesligisten kämpfen um Nachwuchs, egal ob männlich oder weiblich. Wir haben noch wahnsinnig viel Potenzial, viel Arbeit vor uns und brauchen mehr Leute, die sich darum kümmern, die sich engagieren und die den Nachwuchs fördern.
Lenkt man den Blick nun vom Nachwuchs auf den Erwachsenenbereich - wie steht es hier aktuell um den Damenhandball?
Wir haben inzwischen eine Zwei- oder sogar Dreiklassengesellschaft in der Bundesliga. Insgesamt gibt es etwa vier Mannschaften, die richtige Profispielerinnen engagieren, die anderen können es sich einfach nicht mehr leisten. Bei uns im Kader beispielsweise gibt es keine Profis, alle arbeiten nebenher oder machen eine Ausbildung, um leben zu können. Man versucht schon, die Professionalisierung vorrangig in den Vereinsstrukturen voranzutreiben und weil die Leute das gemerkt haben, hat sich schon viel verändert. Aber wie gesagt Profispielerinnen gibt es nur sehr wenige und es ist immer noch sehr viel Luft nach oben.
Sie selber sind schon lange Trainerin und waren auch als Jugendkoordinatorin tätig. Wieso ist es wichtig, sich nach der aktiven Karriere weiterhin im Handball zu betätigen?
Für mich war das von vornherein klar, dass ich mal Trainerin werden möchte. Das muss einem natürlich auch liegen, nicht jeder Spieler ist direkt ein guter Trainer und man muss das natürlich auch wollen, denn es erfordert viel Herzblut. Ich wollte der Sportart immer etwas zurückgeben, denn ich liebe diesen Handballsport und für mich persönlich gibt es nichts besseres als Handball. Jetzt habe ich das Glück, mein Hobby zum Beruf zu haben und möchte gerne etwas aufbauen. Wir haben im zum Beispiel eine Akademie gegründet, denn ich möchte junge Leute fördern und weiterbringen. Aber wie gesagt – das alles muss man wollen und es muss einem im Blut liegen. Für mich persönlich gab es nur diese eine Entscheidung.
Ihre Trainerlaufbahn läuft nun schon lange und erfolgreich. Wieso haben Sie sich parallel nun für den Zertifikatsstudiengang European Handball Manager (EHM) an der Deutschen Sporthochschule entschieden?
Ich wollte über den Tellerrand hinausschauen. Man ist Spielerin, man ist Trainerin und man hat eigentlich wenig Ahnung, was da um einen herum auf anderen Ebenen passiert: Warum macht der Geschäftsführende das so? Wie ist es mit Sponsoren? Wie genau ist das mit den Vereinsstrukturen? Und wie ich vorhin schon gesagt habe, wir stecken mit dem Frauenhandball noch in den Kinderschuhen und ich sehe hier sehr viel Potenzial. Ich habe selber sehr viele Ideen, die ich als Trainerin zwar äußern kann, aber damit wenig ändern kann. Wenn ich irgendwann Managerin oder Geschäftsführerin werden sollte, kann ich meine Ideen und Ansätze einfacher umsetzen.
Sie haben soeben die erste Präsenzphase des Zertifikatsstudiengangs an der Sporthochschule abgeschlossen. Wurden Ihre bisherigen Erwartungen erfüllt?
Ich hatte vorab keine Erwartungen - Ich hab mir gedacht, ich fahr mal hin und lass es auf mich wirken und ich muss sagen: Ich bin mit der Woche sehr zufrieden. Ich komme ja aus der Praxis, daher war es für mich sehr interessant, die theoretischen Hintergründe zu erfahren – und natürlich mit den anderen Teilnehmern Kontakte zu knüpfen. Die Referenten waren gut und ich habe viel Neues mitgenommen.
Mit beispielsweise Ihrer Co-Trainerin Ilka Fickinger oder Stefanie Klaunig, Geschäftsführerin der HSG Blomberg-Lippe sind noch weitere Expertinnen aus dem Frauenhandball beim EHM vertreten. Inwieweit kann das ein Zeichen dafür sein, dass der Damenbereich stetig professioneller wird?
Wir müssen uns nicht mit den Männern vergleichen, denn die haben andere Voraussetzungen und andere Strukturen. Aber man wünscht sich natürlich trotzdem, dass die Frauen sich professionalisieren. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen, denn solange wir etwa mit der Nationalmannschaft nicht erfolgreich sind, so lange werden wir nicht über Medien- und TV-Präsenz punkten können. Die Liga hat die Frauen jetzt gut aufgestellt, mit neuem Logo, Livestream und Internetpräsenz. Das alles gab es früher so nicht. Wir sind auf einem guten Weg, haben beim Deutschen Handballbund (DHB) und bei der Nationalmannschaft neue Leute und ich hoffe, dass weiterhin gute Arbeit geleistet wird. Wir werden jetzt sehen, wie wir bei der WM abschneiden. Dazu müssen wir immerzu schauen, dass wir noch professioneller werden. Aber da bin ich ganz ehrlich, das ist im Frauenhandball sehr schwierig.
Inwiefern kann die WM im eigenen Land Anfang Dezember ein Sprungbrett für den Damenhandball in Deutschland sein?
Internationaler Erfolg ist das wichtigste. Bei der WM gucken alle anderen Länder zu. Wenn wir eine gute WM ausrichten und dazu noch gut spielen und vielleicht sogar eine Medaille holen, dann wäre das das Beste, was uns passieren kann. Das wird sicherlich schwer, aber wäre definitiv das i-Tüpfelchen. Wenn die Kinder im Fernsehen verfolgen, wie das Nationalteam kämpft und erfolgreich spielt und eine Medaille holt, dann kann ich mir vorstellen, dass sie mal im Training vorbeischauen. Und wenn dieser Fall eintritt, dann müssen wir das nutzen und nicht nur sagen: „Jetzt haben wir das erreicht“, sondern dann ist das die Aufgabe vom DHB und von den Vereinen, diesen Schub zu nutzen.
Das Interview führte David Rech