Nr. 2/2018
„Das Essen darf kein Stressfaktor sein, es sollte Teil der Erholung bleiben.“
Im gleichen Lehrgang wie Jürgen Klopp erwarb Hans Braun einst seine A-Lizenz der Fußballtrainer, und noch immer ist der Ernährungsexperte vom Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln dem Fußball eng verbunden. Heute bildet er an der Hennes-Weisweiler-Akademie Trainer aus, forscht im Bereich der Sporternährung und gibt Orientierungshilfe im Dschungel der angeblichen Ernährungswahrheiten.
Herr Braun, wenn man die zahllosen Veröffentlichungen zum Thema Sportlerernährung im Internet und in vielen Fachzeitschriften verfolgt, hat man den Eindruck, dass die Wissenschaft alle paar Wochen andere Empfehlungen gibt: Mal low-carb, mal laktosefrei, mal vegan, mal viel Fett, mal wenig Fett, gibt es überhaupt verlässliches Wissen zur richtigen Ernährung für Sportler?
Wie bei der allgemeinen vollwertigen, gesunden Ernährung gibt es auch im Bereich der Sporternährung einige Grundpfeiler, die sehr stabil sind: Sportlerinnen und Sportler schwitzen stark, also brauchen sie mehr Flüssigkeit als Nichtaktive, sie haben einen größeren Kohlehydratbedarf, und sie benötigen mehr Eiweiß. Das sind Dinge, die wissen wir seit den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wenn wir dann noch etwas weiter in die Tiefe gehen, brauchen Athletinnen und Athleten zum Beispiel individuelle Mengen an Elektrolyten, die verloren gehen, abhängig von den klimatischen Bedingungen, aber auch vom Geschlecht. Aktuell liegt ein wissenschaftlicher Schwerpunkt der Sporternährung in der Individualisierung der Ernährung und dem Zeitpunkt der Nährstoffzufuhr in Abhängigkeit von der akuten Trainingsbelastung zur Unterstützung trainingsbedingter Anpassungsprozessen.
Das klingt halbwegs überschaubar. Warum brauchen Hochleistungssportler dann oft speziell ausgebildete Berater, die bei der richtigen Ernährung helfen sollen?
Heute geht es zunehmend um eine feine Anpassung der Nahrung auf den einzelnen Athleten. Wir wissen zum Beispiel, dass ein Ausdauersportler nicht immer viele Kohlehydrate braucht, je nach Trainingsgestaltung kann das variieren. Es gibt beispielsweise Ansätze, dass Sportlerinnen und Sportler in manchen Trainingseinheiten mit leeren Kohlehydratspeichern trainieren, um Anpassungen zu erzielen, die dann im Wettkampf Wochen später gewisse Leistungsverbesserungen begünstigen. Die Umsetzung beim einzelnen Athleten benötigt physiologische und ernährungswissenschaftliche Kenntnisse, die eben nicht Allgemeinwissen sind.
Ist es denkbar, dass irgendwann exakt ermittelt werden kann, was eine Sportlerin oder ein Sportler an welchem Tag idealerweise essen soll, um perfekte Leistungssteigerungen zu erzielen?
Möglich ist vieles, aber wann sowas verfügbar ist, ist schwer zu sagen. Aber es gibt schon 'den Traum', dass man zwei Tropfen Kapillarblut nimmt, und damit recht genau weiß, was in der Ernährungsberatung umgesetzt werden muss. Das wird aber wahrscheinlich nicht funktionieren, weil nicht jeder relevante Marker über das Blut messbar ist. Trotzdem sehe ich hier spannende Möglichkeiten, in der Zukunft noch genauer konkrete Anweisungen an die Athleten oder an ein Team zu geben, wie die Nährstoffzufuhr gestaltet werden kann. Allerdings kann ich alleine durch Essen niemanden besser machen, das geschieht durch Training. Und wenn wir die individuelle Steuerung der Ernährung so verkomplizieren, dass Stress entsteht, ist das auch nicht sinnvoll. Das Essen darf kein Stressfaktor sein, es sollte Teil der Erholung bleiben.
Was Sie vermutlich nicht davon abhält, immer neues Detailwissen über Ernährung zu generieren. Wo sehen Sie noch Forschungsbedarf?
Ein bisher eher untergeordnetes Thema im Forschungsfeld der Sporternährung ist für mich das Feld der Mikronährstoffe im Leistungssport. Wir wissen aus unseren Erhebungen, dass Leistungssportler einen relativ hohen Konsum an Nahrungsergänzungsmitteln haben. Bevorzugt werden Vitamine und Mineralstoffe und in Einzelfällen in Mengen konsumiert, die im Verdacht sind, Nebenwirkungen zu haben. Dabei ist im Regelfall unbekannt, wie hoch der tatsächliche Mikronährstoffbedarf ist. Es ist schon eine große Herausforderung, für die Allgemeinbevölkerung eine Empfehlung zur Zufuhr einzelner Mikronährstoffe zu formulieren. Wie viel Vitamin C brauchen wir? Wie viel Vitamin D? Für Sportlerinnen und Sportler gibt es dazu überhaupt keine belastbaren Datensätze, die beispielsweise sagen: Der Marathonläufer braucht das Doppelte und der Gewichtheber das Drei- oder Vierfache. Oder gibt es vielleicht gar keinen erhöhten Bedarf?
Ein Teil Ihrer Forschungsarbeit findet seit langem im Nachwuchsbereich statt. Gibt es dafür einen besonderen Grund?
Wir haben über das Projekt momentum engen Kontakt zu vielen Athletinnen und Athleten, der sich nun schon über zehn Jahre erstreckt. Wir haben da wirklich mittlerweile einen schönen Datensatz mit über 800 Athleten, der zeigt, dass das Ernährungswissen jugendlicher Sportler eher unzureichend ist, der Nahrungsergänzungsmittelkonsum relativ hoch, wohingegen die Nährstoffzufuhr über die Nahrung nicht dem entspricht, was allgemein Sportlern empfohlen wird. Das ist interessant und möglicherweise ein einzigartiger Datenpool, denn der Nachwuchsbereich spielt über alle Sportarten hinweg nur eine sehr untergeordnete Rolle in der Ernährungsforschung. Etwas intensiver haben wir uns im Rahmen eines von der FIFA geförderten Projekts mit dem Ernährungs- und Flüssigkeitsstatus bei jugendlichen Fußballerinnen beschäftigt. So zeigte sich, dass ein recht hoher Anteil der Spielerinnen aufgrund eines schlechten Trinkmanagements bereits mit einem Flüssigkeitsdefizit in ein Spiel gegangen ist. Grundsätzlich können wir sagen: Es ist dringend notwendig, die Gruppe der Nachwuchssportler viel stärker aufzuklären, was die Ernährung und den Umgang mit Nahrungsergänzungsmitteln betrifft.
Sie unterrichten das Fach Ernährung auch an der Hennes-Weisweiler-Akademie, wo die deutsche Fußball-Trainer-Elite ausgebildet wird. Sind Ihre Schüler dort an dem Spezialthema interessiert?
Interessiert sind die angehenden Trainer wahrscheinlich alle. Trotzdem ist das für einen Trainer tatsächlich ein schwieriges Feld, weil die Vorkenntnisse nicht einheitlich sind und eine detaillierte Auseinandersetzung mit Ernährung sehr viel Zeit kostet, und die haben wir in der Ausbildung nicht. Ziel ist es, die Trainer über grundlegende Aspekte der Sporternährung aufzuklären und ihnen für bestimmte Situationen Handlungsempfehlungen zu geben. Gleichzeitig sollen sie auch erkennen lernen, dass es nicht sinnvoll ist, jedem Trend oder Hype im Bereich Ernährung zwingend nachzugehen. In meinen Augen gehört im Umfeld des Profifußballs die Frage nach der richtigen Ernährung eigentlich nicht in die Hände des Cheftrainers. Mein Ziel ist eher, den Trainern aufzuzeigen, welche Chancen das Thema birgt, welche Grenzen es hat und wie es dann von einem echten Spezialisten im Alltag umgesetzt werden kann.
Gibt es keine Klubs, die extra Ernährungsberater beschäftigen?
Die gibt es, es ist aber eher selten, dass diese im Verein angestellt sind. Ehrlich gesagt, verstehe ich hier viele Lizenzvereine nicht richtig. Unterhalb des Profikaders spielen ja noch viele Nachwuchsmannschaften, da kommt man schnell auf 150 bis 200 Spieler, und da könnte ein Ernährungsberater, der alle Spielerinnen und Spieler betreut, jedem Klub weiterhelfen.
Im Rahmen ihrer Arbeit für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung machen Sie Ihr Wissen auch Freizeitsportlern zugänglich. Wie funktioniert das?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat die Arbeitsgruppe Sporternährung ins Leben gerufen, um ausgebildete Ernährungsberater, aber auch Hobbysportler und leistungsorientierte Freizeitsportler, die zum Beispiel auf einen Halbmarathon trainieren, mit wissenschaftlich fundierten Informationen zu versorgen. Quasi als ein kleiner Gegenpol zu Empfehlungen und Tipps im Internet, denen teilweise jede wissenschaftliche Grundlage fehlt. Ziel unserer Arbeitsgruppe ist es, Positionspapiere zu verschiedenen Themen zu formulieren, die letztendlich der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.
Haben Sie schon einmal einer Sportlerin oder einem Sportler durch Tipps zu großen Erfolgen verholfen?
Ich würde mich nicht über den jahrelangen Trainingsfleiß eines Sportlers erheben und sagen, die Ernährung hat zum Sieg verholfen. Wenn man einen Olympiasieg nimmt, ist die Ernährung ja nur ein Faktor. Umso mehr freut es einen natürlich, wenn die Athletinnen oder Athleten von ihren Wettkämpfen zurückkommen, einen zu einer Goldmedaillenfeier einladen und sich bedanken, manchmal sogar namentlich. Ich finde es dann irrelevant, wie groß der Anteil an einem Erfolg ist. Ein besonders schönes Erlebnis war aber 2006 die Hockey-WM in Mönchengladbach, als ich mit der Nationalmannschaft, dem Hotel und mit Blick auf den Spielplan genau abgestimmt habe, was es wann zu Essen gibt. Und am Ende stand der WM-Titel.
Interview: Daniel Theweleit